„nahtlos“ – mit Nadel und Faden zur Kunst.

„nahtlos“ – mit Nadel und Faden zur Kunst.

Unter diesem Titel stellt das Forum für Angewandte Kunst vom 5. Juli bis 5. August 2001 Arbeiten von 9 KünstlerInnen (Michael Barta, Karin Bundschuh, Anita Fricek, Heidi Greb, Annette Munk, Max Margot Protze, Eva Spoo, Katja Then und Charlotte Vögele) im Germanischen National Museum (GNM) in Nürnberg aus.

Themenausstellung und Traditionen

Diese Themenausstellung zeigt Positionen zeitgenössischer textil-bezogener Arbeiten auf – es ist mehr eine kleine Auswahl unterschiedlicher Stimmen, als eine große Übersichtsausstellung. Die üblichen Ausstellungs-Strategien von Abgrenzung und Trennung werden zurück gelassen : angewandte und freie Arbeiten, die oft als unüberwindbar gegensätzlich gelten, stehen hier, wie ganz selten der Fall, einmal zusammen. Die Übergänge sind fließend, Widersprüche und Unebenheiten sind jedoch erlaubt, und die Ausstellung ist nicht homogen. So möchte „nahtlos“ eine Plattform für einen beginnenden Diskurs zu Textil als kritischer, zeitgenössischer Praxis herstellen.

In der neu entstandenen Materialpluralität zunächst durch das Aufbrechen der Kunstgattungen während der 60 iger Jahre, aber mehr noch durch die Postmoderne, ist Textil zu einem vielfach dekonstruierten Material geworden, daß durch seine besondere Komplexität an Assoziationen und als Träger einer vielfältigen Vergangenheit verstärkt inhaltlich eingesetzt wird. Vergänglichkeit, Weiblichkeit, das Organische, Weichheit sind Teil dieses Materials, das eine weit zurück reichende mythologische, soziale und politische Geschichte hat.

Verschiedene Traditionen des Einsatzes von textilem Material kommen in „nahtlos“ zusammen.

Textil als Medium für Kleidung, oder für bildhaft darstellende Tapisserien hat im 20. Jahrhundert große Bedeutungswandel / -verschiebungen erfahren. Es wird immer wieder als Material auch in der bildenden Kunst eingesetzt , insbesondere seit den 90 iger Jahren oft mit Witz und Ironie. Die Materialexperimente der Lausanne Biennalen 1963 – 1995 bildeten eine Art Schaufenster für freie textile Arbeiten, für die es immer noch Übersichtsausstellungen, wie z.B. die Lodz Triennale , gibt.

Im Design und der angewandten Kunst gibt es zunehmend Bestrebungen, sich mit inhaltlichen Fragen auseinander zu setzen und die Funktion in Frage zu stellen. Andererseits können auch Materialität und Gebrauchswerte, ohne diesen den Rücken kehren zu müssen, als Inhalte spezifiziert und erforscht werden. Die Auflösung der Moderne ermöglicht ja gerade die Idee von multiplen Zentren und das simultane Zentrieren von Randerscheinungen, was auch in „nahtlos“ deutlich wird. Es werden Gedanken auch über die Dichotomie von Nutzbarkeit oder Inhalt hinaus provoziert. Die aktuelle, zeitgenössische Kunst leiht sich Aspekte aus dem Design, und das Design spielt mit der Kunst.

Dieses sind nur einige Gesichtspunkte, die die Betrachtung der Ausstellung „nahtlos“ überlagern.

Mit einer neuen Selbstverständlichkeit, Leichtigkeit und oftmals unter Einsatz eines feinen Humors präsentieren sich die Arbeiten in „nahtlos“ . Textile mit anderen Techniken vermischen sich, oder sie demonstrieren puristisch, thematisch eine große technische Perfektion. Von High Technology bis zur Handarbeit reichen die Arbeitsprozesse.

Körper und Raum sind die wichtigsten Themenbereiche der gezeigten Werke, die im klassischen Rahmen der Galerie, also zunächst außerhalb von Funktionalität, gezeigt werden. Der Ausstellungskontext hebt so die inhaltlichen Aspekte der Arbeiten hervor.

Materialien und Stoffe

Ein bewachsenes Kleid, archaisch anmutende Filzbekleidung oder auch Seidenkreppkleider in Schrumpftechnik, die in „nahtlos“ präsentiert werden, sind jedoch auch tragbar und auf den menschlichen Körper zugeschnitten.

In der Mode ist Issey Miyake seit den 70 iger Jahren richtungsweisend in der Auflösung der Grenzen zwischen Kunst und Design. Zwischen Tradition und zeitgenössischer Umsetzung liegen die Wurzeln seines Arbeitens tief in der Hochachtung für die eigene Kultur : er „plissiert die Ästhetik des Zen-Buddhismus in Polyester oder wirkt aus grober Wolle“ .

In diesen Zusammenhang hinein, der die Gestaltung des Stoffes als fundamental für die Mode sieht, positionieren sich Karin Bundschuhs Kleider, die auch in Serie produziert werden könnten. Sie benutzt ein überdrehtes Seidenkreppgarn, um ebenfalls einen Plisse-Effekt zu erreichen. Ihre Arbeiten zeigen im Zusammenhang von „nahtlos“ insbesondere ein Material, eine Haptik in Verbindung mit einer Form. Wie eine zweite Haut dehnen sich ihre Kleider über die Bewegung des Körpers.

Hybride Formen zwischen ‚Haus‘ (Jurte) und Hülle, wie Ganzkörperanzüge, Mäntel mit und ohne Kapuzen, Kappen, Wickelrock, Gamaschen, Stiefel, „body- bag“ und selbst ein Mieder-Oberteil gehören in das Repertoire für moderne Nomaden von Heidi Greb.

Die „Filzbehausungen“ wie sie ihre Arbeiten auch bezeichnet, entwickelten sich aus Auseinandersetzungen mit den Jurten, den Zelten der Nomaden, und nehmen auch schon einmal an einer Performance teil. Sie sind ebenfalls in einer sehr ursprünglichen Technik, in der Greb zufolge auch heute der gesamte Herstellungsprozess noch in einer Hand liegen kann, mit ökologisch überzeugbarem Material, jedoch ästhetisch fast futuristisch anmutend, gemacht.. Der menschliche Körper geht so eine Verbindung mit einer Tierhaftigkeit ein, mit einer an Fell erinnernden Oberfläche.

Das Material bekommt hier eine eigene Stimme. Im feinfaserigen sich-ineinander Verschlingen der Wolle, die den Filz ausmacht, bildet es nahtlos Formen.

In den Wandbildern von Michael Barta, erlaubt die große Perfektion der Herstellung an einer computergesteuerten Jacquard-Maschine thematisch die Darstellungsfreiheit des dreidimensionalen Herausarbeitens von Formen aus seinem Gewebe heraus. Barta scannte seine eigenen Hände ein, durch die Software kann dieses Bild direkt in den Webstul eingelesen und umgesetzt werden. Weiß in weiß sind, wie Handschuhe als Hohlformen, zwei zueinander gestellte Hände sichtbar, die aus mehreren Schichten von Kettfäden geformt sind. Die Referenz an die über Jahrhunderte hinweg existierende, oft mühevolle Handarbeit des Webens steht hier im Gegensatz zu der eleganten Handschuhform, in der die Hände, im Zeitalter der Virtualität nunmehr als Konzept angedacht sind, und in einem doppelten Bogen doch wieder durch ein Material dargestellt werden.

Wie Bundschuh und Greb thematisiert auch Barta das Material selbst – es fungiert außer als Träger von Form und Inhalt auch als eine Art eigenes Sujet, indem es selbst richtungsbestimmend, begrenzend und öffnend für die Arbeit wird.

Die Kleidobjekte aus Pflanzenteilen von Charlotte Vögele existieren in einer Nische zwischen Kunst und Dekor. Kunstvoll aufgefädelte Piniennadeln aus dem Mittelmeerraum, sowie aus der hiesigen Landschaft, auf einem Grund aus Tüll läßt die durchsichtigen Objekte, die Vögele selbst zwischen Landart und Naturkunst sieht, als fragil erscheinen. Ihre Nadelkleider emfinden die Transparenz und den Schleier, den die herabgefallenen Piniennadeln auf dem Unterwuchs bilden, nach.

Max Margot Protzes freistehende, raumbezogene Arbeit benutzt fallende Rosenblütenblätter als Motiv. Die auf einen transparenten Stoff applizierten und gestickten Motive erscheinen aufgedruckt als Schatten wieder auf dem dahinter liegenden dichten Material. In diesem eher ernsten, sakralen Zusammenhang erweist sich die Materialität sowohl als Hinweis der Vergänglichkeit seiner selbst, als auch weiter gefaßt als Sinnbild des Lebens und des Todes. Textile Umhüllung steht von jeher am Beginn und Ende des Lebens.

Eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des textilen Materials selbst und die Präzision in der Ausführung sind all diesen Arbeiten eigen. Andere Arbeiten spielen auf Herstellungsprozesse an, indem die Erwartungshaltung von präziser Ausführung unterwandern. Ready-mades und Interventionen in Handarbeit werden gleichzeitig benutzt.

Handarbeit und Verfremdung

Katja Thens Reihe von Blumenkleidern, die sie seit 1995 entwickelt und um die herum sie über das Internet eine Modezeitschrift vertreibt, sind z.B. aus zusammengesetzter, durchsichtiger Folie zusammengenäht, in deren Taschen getrocknete und gepresste Blumen mit Nähseide umrissen auf Seidenpapier aufgenäht sind. Von einem bunten Putzkittel aus Nylon ist nur noch ein Gerippe zu sehen – die Blumenmotive wurden vorsichtig herausgeschnitten und bilden nun einen losen Teppich auf dem Boden darunter. Blumensamen des weißen Schleierkrauts sind in einem weißen Kleid eingenäht, bzw. eingestickt. Es könnte auch zu einer Modenschau gehören. Blühen und Verblühen, genau wie die Kurzlebigkeiten von Sommer- und Winterkollektion weisen auf die Idee der Vergänglichkeit hin.

In Serie bzw. Reihung arbeiten auch Annette Munk und Anita Fricek. In der Installation „Kaltes Buffet“ von Annette Munk werden auf einer langen Tafel acht aus Plüschstoff (aus einer Deckenfabrik) geformte Hüllen, die an Nahrung erinnern, auf gefilzten Bratentellern präsentiert. Das Material stammt aus der Sammlung von Munk und wird verfremdet eingesetzt. Die nunmehr an Körperteile erinnernden Objekte lassen eine sinnliche Ebene, mit allerdings entschlüpften Körpern, zu. Sie sind vielleicht auch eine Referenz an Meret Oppenheims Arbeit „Ma Gouvernante“ von 1936, in der zwei zusammen gebundene hochhackige Damenschuhe, über deren Absätze kleine Papierbanderolen gestreift sind, auf einem ovalen Silberteller verkehrt herum präsentiert werden. Körperlichkeit, Femininität und Ausgeliefert-Sein sind das eine Mal surreal politisch, das andere Mal vieldeutig, subversiv eingesetzt.

Anita Friceks Reihe aus elf doppelseitig in den Raum gehängten Porträtfotos, auf die Assoziationen zu den dargestellten Personen, gestickt sind, setzen sich ebenfalls politisch weiblich in Szene. Die Woll- und Nähseidenstickerei wird hier als Technik genutzt, die die Hochglanz reproduzierbare Oberfläche durchsticht, ihr aber durch die Handarbeitstechnik des Stickens wiederum auch den Status des Unikats verleiht. Durch die beidseitige Bearbeitung durchdringen sich rechte und linke Seite gegenseitig, und ergeben spiegelverkehrte Abbilder.

„Just wait and see what happens“ beinhaltet viele erzählerische Details, die durch die freie Technik des Stickens noch weitere fiktive Ebenen herstellen : ein Mann wird durch die Stickerei selbst zum weißen Einhorn, wohingegen ihn seine eigene halb-Mann / halb-Einhorn Silhouette auf der anderen Foto-Seite in die Brust sticht. Das zahme, eingefangene Einhorn aus dem paradiesischen Garten der mittelalterlichen Tapisserie-Serie der „Dame mit dem Einhorn“ ist hier im Paradies des Stadtraums wilder geworden und ko-existiert auf andere Weise mit dem männlichen Geschlecht. Das Fabelwesen mit dem weißen, seidigen Fell hat sich in eine Halb-Mensch Halb-Tier Gestalt verwandelt.

Eine andere Foto-Doppelseite eines sitzenden Mannes mit unscharfem, bewegten, verwackelten Kopf trägt eine gestickte Inschrift „Der wilde Mann“ mit ironisch wuschelig besticktem, behaarten ? Pullover – auf der anderen Seite hat sich der wilde Bewuchs gelichtet und am Kopf ist nun ebenfalls ein kleines weißes (Teufels-?)horn sichtbar. Sogar eine gestickte Blume wächst in das Bild hinein. In einem anderen Bild sitzt ein Frosch in der Hand der heutigen ‚Prinzessin‘ im feinen gestickten Neglige, das kaum die Nacktheit im heruntergekommenen Badezimmer verhüllt und möchte eher nicht wach geküßt werden. So wird die Stickerei wunderbar leicht, ironisch und zeitgenössisch als Medium des Geschichten-Erzählens eingesetzt, mit vielen Assoziationen an Textil. In den Bildern von einer Frau „she“ und einem Mann „he“ durchdringen sich die Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit in Form von den anklipsbaren Schuhen und Kleidungsstücken der Anziehpuppen aus der Kindheit. Denn es gibt ja keine Vorder- und Rückseite – beide sind beides.

Prozesse und Texte

Eva Spoos Drahtgespinste und Netzwerke aus gehäkeltem feinem Metall oder gewebtem Pferdehaar ‚zeichnen‘ frei in den Raum hinein. Sie sprechen von einer organischen, vielleicht auch nicht zu bändigenden Seite von Textil und repräsentieren auf diese Weise so etwas wie unkontrollierbare Weiblichkeit oder Bewuchs. Spoo selbst bezeichnet diese Arbeiten auch als „wuchernde“ Geflechte. In ihrer Körperlichkeit und dem minimalistischen Charakter erinnern sie an die Arbeiten von Eva Hesse, angelehnt an die Prozesskunst der 60 iger Jahre.

Textil und Text (texere, griechisch Gewebe) liegen etymologisch dicht beieinander – auch Text-il möchte betrachtet und gelesen werden – beide haben eine enge Verbindung zum Konzept der Zeit, und wie manche zeitgenössische Texte ist die Ausstellung „nahtlos“ ohne Anfang, Mitte und Ende.

Die neun, von sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen ausgehenden Reihen und Gruppen von Arbeiten weisen auf eine Vielfältigkeit des Einsatzes von weichem, textilen Material hin. Überschneidungen ermöglichen Fragen zu Zusammenhängen von Materialität, Inhalten und Positionierung. „nahtlos“ ist eine sehr vielversprechende Ausstellung, die hoffentlich viele, auch kontroverse Diskussionen anregt.

Renata Brink, Berlin

Anmerkungen

Erika Billeter, Soft Art – Die Kunst des Weichen Materials, Benteli Verlag, Bern 1980
Mildred Constantine and Laurel Reuter, Whole Cloth, The Monacelli Press, N.Y. 1997
10.Triennale Lodz, Polen : 28.5.01 – 31.10.2001 (Museum f. Textil)
Nicolaus Neumann, ‚Irving Penn : Issey Miyake‘ ,stern 1988 (S. 44-58)