Gegen den Strom
In einer Welt konfektionierter Massenware ist das Kunsthandwerk eines der letzten Refugien des Individualismus. Nahezu alle Gegenstände, die wir tagtäglich nutzen und gebrauchen, entstammen serieller, maschineller Produktion – von der Kaffeetasse und dem Suppenlöffel über Schmuck, Kleidung und Möbel bis hin zu den Gehäusen, in denen wir wohnen. Man braucht das nicht unbedingt und in jedem Fall zu beklagen oder abzulehnen; nicht jeder kann Mühewaltung und Kosten für einen eigenen Architekten aufbringen, maßgefertigte Schuhe sind für die meisten wohl unerschwinglich, und unsere Gesellschaft würde schwerlich funktionieren, wenn wir zur präindustriellen Warenerzeugung zurückkehrten. Dennoch muß man kein Utopist sein, um die Vorherrschaft des Uniformen als Verarmung zu empfinden.
Viele empfinden so. Anders läßt sich der seit Jahren anhaltende Erfolg jener „postmodern gestylten” Objekte industrieller Produktion, die sich als Einzelstücke gebärden, nicht erklären – ein Erfolg, der auf falschen Prämissen beruht. Anders läßt sich aber auch das Weiterleben des schon hundertmal totgesagten Kunsthandwerks nicht erklären, das nun tatsächlich individuell gestaltete Unikate bereitstellt.
Das kann natürlich nicht billig sein. Aber andererseits – was heißt schon teuer? Authentizität, handwerkliche Meisterschaft, Originalität zählen heute, im Zeitalter der Entindividualisierung, zur Ausnahme. Sie sind kostbar und uns daher zwangsläufig im doppelten Sinne des Wortes: teuer.
Dr. Corinna Rösner
Die Neue Sammlung
Staatliches Museum für angewandte Kunst, München