Es ist nicht alles Gold was glänzt

Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung „Es ist nicht alles Gold was glänzt“ im Kohlenhof Kunstverein Nürnberg am 1. Oktober 2006

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Gesellschaft für Goldschmiedekunst, eine gemeinnützige Vereinigung zur Förderung der Gold- und Silberschmiedekunst, in deren Namen ich sie eigentlich heute morgen hier sehr herzlich begrüßen wollte, sieht eine ihrer wichtigsten Aufgaben in der Unterstützung des Nachwuchses. Mit internationalen Wettbewerben, Preisen, Stipendien und Veröffentlichungen wird die Gesellschaft dieser Anforderung gerecht. Gerade in diesen Tagen wurden die Preise des fünften Nachwuchsförderpreises Schmuck und Gerät 2006 vergeben, in der kommenden Woche wird das Ruth Reisert Hafner Auslandsstipendium in Pforzheim übergeben. Der Silbernachwuchspreis des Jahres 2005 ging an einen Absolventen der hiesigen Akademie, an Michael Hinterleitner.

Neben dieser direkten Förderung liegt es der Gesellschaft für Goldschmiedekunst aber auch sehr am Herzen, mit Partnern, die sich in gleichem Maße dem Künstlernachwuchs widmen, in Kooperation zu treten.

So war es auch keine Frage, dem Forum für angewandte Kunst Nürnberg bei der heutigen Ausstellungseröffnung zu Seite zu stehen – auch wenn mir dies nun nicht persönlich möglich ist.

Meine Damen und Herren, in den frühen 1960er Jahren zeichnete sich vor allem in England, Holland und Deutschland ein ganz eigener Ansatz in der Schmuckgestaltung ab. Es wurde eine Generation von Schmuckgestaltern aktiv, der Materialwert und künstliche Schönheit eines Schmuckstücks nicht mehr genügten – gestalterische Konzepte waren gefragt, Schmuck wurde zum Ausdruck der eigenen Identität, die Entdeckung neuer Materialien wie Kunststoff, Textil und Papier hatte absoluten Vorrang vor der Verwendung von edlen Metallen. Wenn mehr oder weniger alle Länder in Europa von dieser Revolution im Schmuck erfasst wurden, so muss doch erwähnt werden, dass Italien noch sehr lange am Gold festhielt. Dort zeichnete sich ab 1966 am Istituto d’arte Pietro Selvatico“ in Padua eine ganz eigene, von der geometrischen Grundform beherrschte Schmuckgestaltung ab, für die letztendlich Mario Pinton, der große Mentor der Schule, verantwortlich zeichnete.

Erst in den letzten zehn Jahren hat sich in Italien eine junge Generation von Schmuckgestaltern entwickelt, die mit unedlen Metallen experimentieren. Ein Ansatz, der vor allem an der Schule „Alchimia“ in Florenz zu finden ist. Auch an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, die sich sehr wohl als Ausbildungsstätte für den klassischen Gold- und Silberschmied versteht, der Trend zur Auseinandersetzung mit Schmuck aus alternativen, nicht edlen Materialien entwickelt.

Wenn man die Arbeiten der Studenten an den verschiedenen Ausbildungsstätten in Europa miteinander vergleicht und nach typischen Merkmalen der einzelnen Schulen sucht, wird man ganz schnell feststellen, dass durch den kulturellen Austausch und die interdisziplinären Veranstaltungen sich kaum noch bedeutende Unterschiede ausmachen lassen. Die Studenten der Alchimia in Florenz verstehen es ebenso selbstverständlich wie die Studenten der Nürnberger Akademie, neue Materialien zu entdecken und zu erproben. Gemeinsam ist allen, sich nicht auf Gold, Silber und edle Steine zu beschränken, sondern allen erdenklichen Werkstoffen gegenüber aufgeschlossen zu sein.

So finden wir sowohl bei den Studenten in Florenz wie auch bei den Studenten in Nürnberg interessante Aspekte im Umgang mit Kunststoff und Textilien.

Karin Kato greift bei ihren Broschen auf Kindheitserinnerungen zurück, sie denkt an ihre Spiele im Sandkasten. Einfache, naive Formen wie sie im Sandkasten zu finden sind – Kreis, Quadrat und Stern – dienen ihr sozusagen als Vorlage für die Entwicklung ihrer Schmuckstücke. Die unregelmäßigen, in Kunststoff gegossenen Objekte erinnern an die im Sand gebackenen Formen. Und doch haben sie nur entfernt etwas mit diesen gemeinsam. Durch die Verwendung von Kunststoff in kräftigen Farben wird die Sandstruktur verfestigt, sie bleibt lediglich an den Rändern erkennbar. Die Künstlerin spielt mit den Gegensätzen von rauer und glatter Oberfläche – es ist ihr wichtig, in ihrem Phantasiepark spielen zu können.

Ermen Magro versteht es in ihrem Schmuck mit einem gewissen Verfremdungseffekt zu spielen, Alltagsszenen werden in Kunstharz eingebunden und erscheinen so in einer ganz neuen Perspektive: Ausschnitte von Plattenbauten werden zu großen Gliedern einer Kette,

witzige bis hin zu groteske Fotos von Alltagsszenen werden in Kunstharz eingebettet.

Die Künstlerin selbst erklärt ihren Umgang mit Kunstharz wie folgend: „Kunststoffe faszinieren mich, deren Beschaffenheit ha für mich etwas Surreales. Kunstharz hat meinem Schmuckschaffen eine Wende gegeben, mir Türen geöffnet. Farben, Fotos, fragile Materialien kann ich somit ohne Grenzen verwenden“.

Die Farbe spielt bei Ermen Magro eine ganz besondere Rolle, sie komponiert mit ihnen naive, bunte, laute, lustige und starke Schmuckstücke.

Heike Gruber verleiht ihren Schmuckstücken eine gewisse musikalische Note. Musik ist für sie ein gewisses Lebenselixier, sie genießt sie als Zuhörerin oder selbst Musizierende, sie ist Inspiration für ihren schmuck. Besonders angetan hat es ihr der Jazz, deshalb beschloss sie, ihm einen „Orden“ zu verleihen. Der Jazz, in den Südstaaten geboren, erreichte in den 1920er Jahren des vergangenen Jahrhunderts weltweit seinen Höhepunkt. In einem Jahrzehnt, in dem große Anhänger an langen Ketten zum Cocktailkleid getragen wurden. Auch die aus Polyurethan oder Holz dreidimensional gedrehten Körper, die fein gefeilt und geschliffen wurden, sind in kräftig glänzenden Farben lackierte Anhänger, die an langen Schmuckbändern um den Hals getragen werden. Bei ihrem Umhängeschmuck ließ sich die Künstlerin von Rock- und Punkmusik inspirieren: “Die aufbegehrende Power lauter und leiser emotionaler Töne und Texte der Rock- und Punkmusik bewegten mich zu diesen, über die Schulter zu hängenden Schmuckstücken“. Ihr beliebig am Shirt zu befestigende Ansteckschmuck erinnert an einen Notenschlüssel – vielleicht will er aber auch nur ein witziges, knallbuntes Accessoire sein.

Christoph Straube erklärt die Verwendung von alternativen Materialien in seinem Schmuck mit den Worten: „Ich verwende alternative Materialien, weil jedes Material spezifische Eigenschaften besitz und deshalb viele gestalterische Möglichkeiten bietet (..).“ Mit seinem Virus Nr. 1-3, Broschen aus lackiertem Metall mit eingesetzten Leuchtdioden hat der Künstler Prototypen für eine Massenanfertigung aus Kunststoff geschaffen.

Weiche, runde Formen stehen auch bei „Häschen und andere Tiere“ aus Mammutelfenbein im Vordergrund, roter Lack akzentuiert die Gesichter der stark reduzierten Formen, die sich ohne Titel kaum als Artgenossen der Tierwelt identifizieren lassen.

Ulli Leitner kombiniert in ihrem Ansteckschmuck und ihren Ketten feinste Aluminiumfolie und qualitativ hochwertigen Nylon. Daraus werden Großperlen und Kugeln, die wiederum bestickt und beschichtet sind. Bunt aneinandergereiht ergibt sich ein voluminöser Halsschmuck, der durch sein schillerndes Farbenspiel auffällt. Werden diese große Perlen mit Fell ummantelt oder auf diesem befestigt, dann verlieren sie von ihrer Leuchtkraft und werden zu einem eher ruhigen Ansteckschmuck. In einer weiteren Variante werden tropfenförmige Perlen zum modernen Trachtenschmuck mit gewissem Hang zur Tradition. Fell, Federn oder Horn, die klassischen Materialien des Trachtenschmucks ersetzt die Künstlerin ganz mutig durch zeitgemäße Alufolie. In der Kombination der Materialien wird ein weiterer Aspekt der Möglichkeiten von unterschiedlichen Materialien erprobt.

Von größter Subtilität sprechen die Schmuckobjekte von Anna Lang.

Leicht unregelmäßige, aus Silber geformte Hohlkörper werden mit den unterschiedlichsten Textilien bespannt: Es können dicht gewirkte Stoffe sein, netzartige oder halbtransparente Textilien in den unterschiedlichsten Farben. Auch wenn sich die Außenformen dieser Hohlkörper kaum voneinander unterscheiden, so wirkt jedes Objekt allein durch den verwendeten Stoff völlig anders. Zarte Pastelltöne, Musterungen oder Strukturen kontrastieren mit Stücken in kräftigen Farben. Anna Lang geht es in ihren Arbeiten um den weiblichen Körper, seine Stärke und Verletzlichkeit. Diese bedarf einer Ummantelung, gleichsam wie wir sie bei den Hohlkörpern finden.

Auch bei Andrea Winkler steht das Thema „Körper“ im Vordergrund: „Meine Schmuckstücke sind kleine organische Formen, die Teil eines Körpers werden sollen.

Zwischen Objekt und Träger soll eine Beziehung entstehen, denn was wir so nah an unseren Körper lassen, darf nicht fremd sein“.

In gewissem Sinne dokumentiert die Künstlerin aber auch eine kleine Zeitreise: Grundsätzlich verwendet sie nur alte, getragene und gebrauchte Stoffe, Kleider, Tücher oder Spitzen, die sie auf dem Trödelmarkt entdeckt. Ihre Schmuckstücke erzählen so Erlebnisse vergangener Tage auch wenn sie aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst sind. Durch das Überlagern verschiedener Stoffstrukturen und Ergänzen von kleinen Extras gewinnen die Arbeiten an Lebendigkeit.

Toma Hilgenfeld hat sich ganz dem Knopf und seinen vielseitigen Gestaltungsmöglichkeiten zugewandt: „Der Knopf hält zwei Stoffschichten zusammen, er funktioniert nur mit einem dazu passenden Knopfloch. Der Knopfschmuck ist sowohl Dekoration, wie er auch getragen FUNKTIONIERT. Er erfordert die gleiche Handhabung und Zusammengehörigkeit, ersetzt die zweite Stoffschicht oder eröffnet eine Dritte. Die Materialien erzählen – die antiken Knöpfe, der Stoff, insbesondere aber die Machart“.

Der Knopfschmuck kann auch an unkonventionellen Stellen getragen werden: Bei einer im Rücken geknöpften Bluse wird die Knopfleiste mit Knopfschmuck akzentuiert.

Zufällige, unkonventionelle Materialien bestimmen den Schmuck von Marie Bonfiels.

Die Künstlerin lässt sich von bestimmten Motiven inspirieren, ohne eigentlich zu wissen, warum es ihr gerade dieses Motiv besonders angetan hat. Während sie die Materialien bündelt, sägt, umwickelt, schneidet oder auf irgendeine Art und Weise verändert, entwickeln sie ein gewisses Eigenleben, auf das sich die Künstlerin einlässt. In den Materialien liegt die Ästhetik der Arbeit. Auch wenn die kleinen Schmuckobjekte wie „complicated lady“ „man in the moon“ oder „marionette“ von einer minimalistischen Formensprache geprägt sind und dem Betrachter eigene Phantasien erlauben, so ist es der Künstlerin sehr gut gelungen, den Kern ihrer Aussagen in der stark reduzierten Form zu vermitteln. Sie verzichtet auch ganz bewusst auf jegliche Farbigkeit, die von dem eigentlichen Anliegen ablenken könnte.

Meine Damen und Herren, auch wenn nicht alles Gold ist was glänzt, so zeigen die Schmuckarbeiten der neun Absolventen von Alchimia und der Nürnberger Akademie, das jedem Glanz ein gewisser Zauber innewohnt.

Ich wünsche der Ausstellung viele interessierte, ja neugierige Besucher, die den Mut haben, glänzenden Schmuck zu tragen, auch wenn er nicht aus Gold gefertigt ist.

© Dr. Christianne Weber-Stöber