In eigener Sache 2, Nürnberg

InEigenerSache2N

 

In eigener Sache 2, Müller

 

Askan Hertwig

 

In eigener Sache 2, Nürnberg

 

In eigener Sache 2, Nürnberg

 

In eigener Sache 2
Forum für Angewandte Kunst Nürnberg e.V.

 

Neues Museum
Staatliches Museum für Kunst und Design
in Nürnberg

21. Oktober 2011 bis 22. Januar 2012

 

Galerie für Angewandte Kunst, München

15. April bis 4. Juni 2011

 

Es stellen aus:

Askan Hertwig
Toma Johanne Hilgenfeld
Katja Höltermann
Paul Müller
Cornelius Réer
Sabine Steinhäusler
Annette Zey
Sabine Ziegler

 

In eigener Sache 2, Reer

 

 

Fast acht Jahre ist es her, dass sich das Forum für Angewandte Kunst Nürnberg e.V. zum ersten Mal „in eigener Sache“ zu Wort meldete. Damals gaben die acht Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker im Germanischen Nationalmuseum ihre Visitenkarte ab. Kurz zuvor hatten sie sich von einer Arbeitsgruppe des Bayerischen Kunstgewerbevereins zu einem selbstständigen gemeinnützigen Verein emanzipiert: erste und ursprüngliche Bedeutung des Ausstellungstitels.

Seinen Erfolg verdankt das Forum nicht irgendwelcher Programmatik, sondern der Individualität seiner Mitglieder. Dieses Selbstverständnis kommt im Verzicht auf einen Kurator zum Ausdruck. Jedes Mitglied zeichnet selbst für die Objektauswahl verantwortlich, ist „in eigener Sache“ unterwegs. Anders als sonst, wenn das Forum Ateliertage und Ausstellungen organisiert, die sich über die Jahre als fes-ter Baustein des Nürnberger Kulturlebens etabliert haben, nehmen sich diesmal die Forumsmitglieder das Recht heraus, unter sich zu bleiben. Back to the roots: Die Ausstellung hat Premiere im Bayerischen Kunstgewerbeverein in München, bevor sie ins Neue Museum nach Nürnberg kommt, das damit schon zum fünften Mal Gastgeber des Forums für Angewandte Kunst sein darf.

Schmuck, das ist immer auch das Spiel mit Erwartungen. Niemand weiß dies besser als Askan Hertwig, der Ringe, Broschen und Anhänger schafft, die ähnlich wie ein schwarzes Loch von Anish Kapoor funktionieren. Wer dieses als schwarze Kreisfläche am Boden identifiziert, darf sich genauso getäuscht fühlen, wie wenn er in einer Brosche von Askan Hertwig einen Onyx zu sehen vermeint. Denn statt eines schwarzen Steins gähnt die Leere eines schwarzen Lochs. „Je nach Perspektive und Lichteinfall, Erwartungshaltung oder Ausdeutung erscheinen die Formen mit etwas besetzt. Faktisch sind sie aber leer“, schreibt Askan Hertwig, der mit Paaren von Gusseisen-Gefäßen ein ähnliches Verwirrspiel treibt. Auch hier ist genaues Hinsehen erforderlich, denn nur so lässt sich entdecken, dass Kunststoffeinlagen aus Verpackungen von Süßigkeiten oder Stiften für das Oberflächenrelief einmal positiv und einmal negativ abgeformt wurden sowie durch ihre Größe das Volumen der zylindrischen Gefäße definierten. Die Kanneluren und Noppen wecken unterschiedlichste Bilder und Vorstellungen, die den Readymade-Ursprung der Oberflächenstrukturen leicht übersehen lassen.

„Manchmal denke ich, in meinen Arbeiten ein Stück Vergangenheit ins Jetzt retten zu wollen“, sagt Toma Hilgenfeld über sich selbst. „Colonne“ (Säule) nennt die Schmuckkünstlerin Ringe, die Vergangenheit zu atmen scheinen. Dafür entdeckte sie die sogenannten Rheinkieselringe wieder – typischen Schmuck der fünfziger Jahre mit bedampften Glassteinen in allen Regenbogenfarben anstelle teuerer Edelsteine. Hilgenfeld fasst die Rheinkiesel aus und taucht die Ringe vor dem Abformen in Wachs, damit sich ihre Zeichnung verliert. Ein Vorgehen, das dem Verblassen der Erinnerung Ausdruck verleiht. Hohle Goldsäulen in verschiedener Höhe treten an die Stelle der Rheinkiesel und holen durch die Präsenz des Materials und ihre klare Form die Ringe ins Hier und Jetzt zurück.

Die Gold- und Silberschmiedin Katja Höltermann arbeitet sowohl im Unikatbereich als auch als Designerin für die Industrie. „Bei meinen Arbeiten ordne ich den Dingen durch die Form einen Charakter zu, der ihre Funktion unterstützt und individuell macht. Es entstehen ‚kleine Persönlichkeiten‘ für den täglichen Gebrauch.“ Ausgesprochen schräg sind ihre neuen Salz- und Pfeffermühlen und die dazu passenden Salzstreuer. Jeweils zwei aus dem Lot geratene Zylinder sind beweglich aufeinander montiert, sodass verschiedene Torsionen möglich werden. Dies genügt, um die silbernen Tischgenossen eilig eilend, sich umwendend oder einander zugeneigt erscheinen zu lassen. Wer sagt eigentlich, dass Tischgerät nicht eigenwillig sein darf?

Paul Müller mag keine scheinbaren Selbstverständlichkeiten hinnehmen. Eines der Lieblingsthemen des Silberschmieds, der Kerzenleuchter, scheint längst durchdekliniert. Doch die 2011 entstandenen Paarleuchter zeigen skulpturale Lösungen, die aus dem Tragen von langen, rechteckigen Platten, in deren beiden Enden Hülsen für die Kerzen versenkt sind, radikal neue Formen entwi-ckeln. Mit ihren dünnen, meist ausgestellten Beinen muten sie zunächst technisch reduziert an, bis sich endlich ihre Verwandtschaft mit jenen anrührenden Tierfiguren zu erkennen gibt, die Kinder aus Kastanien und Streichhölzern basteln. Nicht zufällig nennt Paul Müller einige seiner Schöpfungen „Nachttiere“. Vier Leuchter sind in Bronze gegossen und oxydiert, zwei weitere Leuchter aus Messing montiert und orangefarben pulverbeschichtet.
„Die Farbe hat mich“, könnte Cornelius Réer sagen, der einzige Glaskünstler im Forum. Seine jüngsten Arbeiten – Vasen, Karaffen, doppelwandige Schalen und Dosen mit Deckel – leben nämlich vor allem von ihren transparenten Farben. Die Form tritt dezent in den Hintergrund, wird jedoch „straff“ artikuliert, wie Réer sagt, um sie nicht ganz preiszugeben. „Im Vordergrund steht für mich die Auseinandersetzung mit verschiedenen Farbklängen. Gemeinsam ist den Arbeiten die Verwendung von zwei bis drei Farbtönen, die bei gleichbleibender Form und Funktion jedem Stück eine andere Grundstimmung geben.“ Gläserne Gefäße, die im Spiel des Lichts zum Meditieren anregen und dabei fast vergessen lassen, sie auch zu benutzen.

Als Weiterentwicklung ihrer „streched forms“ – Halsschmuck aus gedehnten und auseinandergezogenen Metallringen und -schlaufen – präsentiert Sabine Steinhäusler neue Broschen, die ebenfalls Ergebnis von Verformungsprozessen sind. Den Ausgangspunkt bilden Quadrate und Rechtecke aus dicken Feinsilber- oder Kupferblechen, die eckige oder runde „Auswüchse“ besitzen, die zunächst eingesägt, geschlitzt und aufgedornt werden. Mit viel Kraftaufwand und mithilfe eines speziellen Werkzeugs werden daraus dann Schleifen gezogen. In bis zu zwanzig Ziehvorgängen, immer wieder unterbrochen von Zwischenglühen, um das Material zu entspannen, bilden sich nicht nur die Schlaufen, sondern verliert auch die Basisform ihre geometrisch strenge Silhouette. „Entscheidend ist dabei, rechtzeitig aufzuhören und den ‚besten‘ Bewegungsmoment festzuhalten. Der Titel dieser Broschen lautet deshalb ‚fixed movements‘“, schreibt die Schmuckkünstlerin zu ihren Arbeiten, die sie mit Filmstills vergleicht. Interessant ist, wie sehr diese fixierten Bewegungen an die Formensprache des Bildhauers Eduardo Chillida erinnern.

Annette Zey rekapituliert in einer Gruppe von handgroßen Miniaturen ihre Erfahrungen mit Schalen, die sie aus gleichen Elementen zusammensetzt. Vielfach durchbrochene Schalen, ideal für Obst, aber streng genommen eigentlich sich selbst genügende Kleinskulpturen. Das Formproblem, mittlerweile mehr als dreißig Mal variiert, wird die Kunsthandwerkerin nie erschöpfend behandeln können. Zu groß ist die Freiheit, die sie sich bei der Wahl der Elemente erlaubt. Auch in Metall nachgebildete Camembertschachteln hat sie schon zu einer Schale gefügt. Hier nun sind es Ringe, silberne Halbkugeln, viereckige Bleche und dreidimensionale Module, die sich zusammenschließen. Die Bausteine bestimmen die gewählten Materialien. Trotz gleichen Volumens sind die Schalen je nach Material unterschiedlich schwer.

„Mein Thema ist die Linie. Sie umschreibt Flächen. Es entstehen Räume und Zwischenräume – das Gespräch zwischen beiden ist der spannende Moment meiner Arbeit“, sagt Sabine Ziegler. Ihren neuen Broschen gehen Bleistiftskizzen voraus, deren unendliche, in Schlaufen gelegte Linien sie in die polierten Kanten von Silberbändern übersetzt. Bei den „Wasserschlaufen“ füllt Sabine Ziegler den Zwischenraum im Zentrum mit Macrolon, einem Kunststoff, wodurch die ursprüngliche Negativform eine Akzentuierung und Aufwertung erfährt. Die luftigen Schlaufen greifen nach außen aus. „Anders bei den ‚Seeblättern‘, das Zentrum bleibt leer, die Schlaufen sind gefüllt und ergeben so einen blattartigen Charakter. Die Form wirkt kompakter und nach außen abgegrenzt.“ Dieselbe Spannung von positiv und negativ charakterisiert auch die Arbeit „Drei Ovale“ von 2010. Drei Ovale durchdringen sich, die Schnittmengen sind ausgespart. Eins plus eins ergibt eben unter Umständen auch einmal null.

„In eigener Sache 2“ ist eine Momentaufnahme. Für die Ausstellung gilt, was Sabine Steinhäusler von ihren „fixed movements“ sagt, dass sich daran nämlich „der gesamte Bewegungsprozess ablesen“ lasse. Hier also sowohl die Entwicklung im Schaffen der einzelnen Mitglieder als auch die des ganzen Forums. Eine Entwicklung, die aus dem Spannungsfeld des Dreiecks von Kunsthandwerk, Design und Kunst ihre Dynamik bezieht. Dabei geht es um nicht weniger, als die immer ärmer werdende Welt der Dinge durch Kluges, Schönes, Anrührendes, Witziges und Sperriges zu bereichern.

 

Thomas Heyden
Neues Museum in Nürnberg